Ohne weiteres Indiz, als das der Parkposition, ging ich davon aus, dass der Bus vom Bahnhof Richtung Zentrum fahren würde. Tat er jedoch nicht und ich stieg bei der nächsten Station hastig mitten in einem Wohngebiet aus. Zwischen Burgähnlichen Häusern aus der Mittelalterzeit und einem sanft-hügeligen Wäldchen, durch das ein Fluß plätscherte.
Später stellte sich heraus, dass die Busse mit Fahrtrichtung gen Zentrum rein in die Wohngebiete fuhren – und die Strecke solcher, mit entgegengesetzter Schnauze, in die Stadtmitte führte. Mit besten Empfehlungen, Ihre Großbaustelle am Bahnhofsvorplatz!

Ein paar Schritte am Wasser meines Weimaraner Irrweges entlang, die meiner inneren Ruhe zuträglicher waren, als ein stundenlanger Spaziergang durch den Leipziger Auwald, glotzte mitten aus dem Grün unvermittelt ein beeindruckendes Bauwerk auf mich herab, dass ich mich wundern musste, wie es wohl hergekommen war.
Das Museale an ihm war sofort ersichtlich. Grauer Sandstein, vier Säulen als architektonisches Zentrum, halbrunder Sockelstock mit gläserner Außenhülle. Die verwachsenen Apfelbäumchen auf der Wiese drum herum gaukelten hingegen einen Klostergarten oder ein bäuerliches Gehöft vor.
Es war das Goethe-Schiller-Archiv, welches sich etwas Abseits der Innenstadt mit breitem Fenstergrinsen niedergelassen hat.
Mit zwei solch schwergewichtigen Namen im Gepäck – respektive Archivregalen – ist es die Ruhe selbst und lädt jeden vorbei wandernden ein, einen Moment inne zu halten, um ehrfurchtsvoll der Ewigkeit geschriebener Worte bewusst zu werden.
Was hier steht, hat auch in hundert Jahren noch bestand.
Weimar hält ohnehin nicht viel von Hektik.
Selbst in Heidelberg ist mehr Touristengewusel.

Wäre ich in Weimar besser aufgehoben?, stelle ich mir erneut die Frage, die mich schon bei meinem letzten Besuch 10 Tage zuvor maßgeblich beschäftigt hat.
Ich laufe etwas ziellos durch die Gassen und versuche an den Fassaden der historischen Altstadt nach Hinweisen zu suchen.

Und dann, nach einem enttäuschenden, veganen Apfelkuchen samt wässrigem, heißen Kakao, gefolgt von einem herrlich karamel-cremigen De-Caf-Cappuccino, schon auf dem Weg zurück zur Regionalbahn Richtung Zuhause, fand ich mich unversehens in einem lyrischen Hinterhofgarten wieder. Angelegt um 1750. An den alten Mauern klettern Hagebutte und Wilder Wein empor. Die schmalen Beete sind mit einer winzigen Hecke abgegrenzt, die in einem Kinderbuch über eine Mäusefamilie ein unüberwindbares Hindernis darstellen würden. Gelbe, rote, weiße und rosafarbene Blütentupfer leuchten in der Abendsonne. Natürlich stehen auch zwei begrünte Holzlauben im Garten unter denen sich Gäste zum Verweilen niederlassen können. Ein sanfter Wind raschelt in den Blättern. Es duftet nach Spätsommer.
Dieses grüne Kleinod ist Teil eines Bürger-Museum mit angeschlossenem Café und Event-Innenhof. Veredelt wird das Ensemble von einem rosafarbenem Gartenhäuschen an der Stirnseite des Grundstücks. Die floralen Stuckverziehrungen am Mauerwerk passen zur Umgebung, die doppelflügige Eisennietentür schaut nach ehrlichem Wühlen in der Erde aus ohne zu sehr an schmutzige Arbeit zu erinnern. Ein tolles Bild für einen Manufaktum-Katalog – während der wahrhaftige Schatz der Geschichte unscheinbar um die Ecke zu finden ist. Eine Seitentür, zwischen all den Hagebutten nur auf den zweiten Blick erkennbar. Diese führt nicht in das Gartenhäuschen, welches mittlerweile eine Galerie beherbergt, sondern hinter den Mauern runter auf die Straße. Einst ein schneller und diskreter Weg, um rüber zum nahegelegenen Schloß zu gelangen. Man fühlte sich mit der fürstlichen Familie eng verbunden.

Den Brüdern Karl und Franz Kirms gehörte das stattliche Anwesen. Mitglieder des höheren Bürgertums. Goethes Enkel spielten schon in diesem Garten, erzählt Dieter, ein etwa Achtzigjähriger, der sich mit seiner Begleitung an meinen Tisch gesellt, weil selbst um kurz vor Geschäftsschluss das Café bis auf den letzten Platz besucht ist.
Als einer der Kirms starb, heiratete der übrig gebliebene Bruder eine Frau Krackow, welche wiederum die Kinderfrau der kleinen Augusta wurde, die spätere Gemahlin Wilhelms des Ersten und somit erste Deutsche Kaiserin.
Dieter höchstselbst führte vor Jahren durch die Museumsräume und den Garten und ich scheitere daran, ein paar persönliche Hintergründe aus ihm rauszulocken. Daher beschränken sich meine Zeilen auf ein paar, vom Staub der Zeit belegte Details.
Er erzählt noch ein bisschen über Weimar und freut sich, dass auch so ein junger Mensch wie ich Interesse an der entzückenden Stadt hegt. Bei seiner Erwähnung des Belvedereparks, dessen Schloß, seinem Namen die Ehre erweisend, von einem Hügel am Stadtrand hinab ins Tal blickt, senkt sich der Vorhang in meinem Inneren und gibt die Lösung auf meine Eingangs erwähnte Frage frei: Ja, Weimar hätte mir getaugt. Eine Stadt mit vier Schlössern (mit Schloß Tiefurt und Schloß Ettersburg noch) kann für einen Flaneur so schlecht nicht sein. Und da sind ja auch immer noch Goethe und Schiller.
Johann Wolfgang … der alte Frankfurter Bub. Ein bisschen Heimat in der Fremde tut ja immer gut.

Leider habe ich mich von der Fahrtrichtung meines eigenes Lebens irritieren lassen. Beim nächsten Halt steige ich wohl wieder mal schnell aus.