Bämm! Als wäre ein Komet in einen 70er-Jahre-Flohmarkt gekracht und die Wucht des Aufschlags hätte aberhunderte Fetzen aus dem Gestern in die Luft geschossen, welche nun an jedem Zentimeter der Wand kleben. Zwei Räume voll Vintage-Tünnef aus Emotionen, Erinnerungen, Träumereien und Altherrenwitzchen. Postkarten, Fotografien, Karikaturen, Autogrammkarten. Adriano Celentano, Silvio Di Lauro, Gloria, Volare, Umberto Tozzis ›Ti aaaamo, Io sono, ti aaaamo‹. Dazu Hollywoodstars und die besten Jahre von Cinecittà. Alles Standbilder aus Filmen. Alle beim Pizzaessen. Laurel und Hardy, Sophia Loreen, Julia Roberts, Michael J. Fox im Jahre 2015 – nicht in unserem, in dem von Hill Valley.
Passend zu all dieser Vergangenheit, hängt im Durchgang zur Küche allen Ernstes noch ein graues Wählscheibentelefon. Ich bin begeistert.
Weniger Jubel bricht bei mir wegen meiner bestellten Pizza aus, genauer, wegen dem unansehnlich ausgearbeiteten Rand. Immerhin riecht sie selbstgemacht. Nicht High-End-Performer Teigfermentations-selbstgemacht, eher ambitionierter Haushaltsofen-selbstgemacht. Examens-Abschiedsparty-selbstgemacht. Wenn man noch jung ist, aber das kulinarische Niveau schon etwas angestiegen. Weil bald ist man ja Teil der Berufswelt. Bald ist man erwachsen. Da investiert man auch mal in die guten Dosentomaten oder kauft den frischen Basilikum.
Nur, Neapolitanisch, wie ausgepriesen, ist sie damit halt leider kein bisschen. Was Maradonna aber nicht davon abhält, zwischen all den Film- und Schlagergöttern würdevoll aus seinem Schrein heraus zu scheinen.
Hinterher wird mir die Pizza Lombardei empfohlen. Eine Bianco mit gekochtem Schinken und Gorgonzolakäse. Da habe ich meine Paprika-Artichoken-Pompeji aber schon längst gegessen.
Die Decken hier bei Pasquale sind niedrig. Wüsste ich es nicht besser, würde ich auf eine Gartenlaube tippen. Wie erwähnt: wei Räume. Links Pizzaofen, rechts Küche und Bar. In beiden verteilt: Tische, Stühle und besagte Devotionalienflut. Aber das genau macht den Charme aus. Du bist hier bei Freunden, nickt das Ambiente uns zu. Selbst, wenn man gar nicht so dicke miteinander ist. Aber so wie hier haben wir uns immer die Pizzeria unserer Großmutter vorgestellt, wenn sie denn eine gehabt hätte. Sie wäre auch gar nicht unsere leibliche Oma gewesen, mehr ein Großtanten-Omadings für alle, mit der extra Mama-Miracoli-Herzenswärme. Zum ersten Mal in unserem Leben wäre zwar Blut immer noch dicker als Wasser, aber ihre Pizzasoße am dicksten von allen gewesen. Das schweißt zusammen. Ihre Gartenlaubepizzeria wäre die heile Welt am späten Mittag nach Schule und Ärger mit den Eltern.
Jetzt sind die Kids aus dem Haus und werden langsam erwachsen. Dafür haben sie mittlerweile das Ruder übernommen und wuppen neben dem Studium diese Pizzeria hier. Dadurch hat das Ambiente auch den Charme einer outgesourcte WG-Küche. Neben dem Kühlschrank sammelt sich auch mal das Leergut in einer LIDL-Tüten.
Es ist nicht ganz ersichtlich, wer alles Gast und wer Gastgeber ist. Ständig geht irgendwer in die Küche rein oder raus, hat aber gar keinen Dienst heute oder gehört zu denen, die dennoch ganz regulär ihr Essen bezahlen. Die Übergänge jedenfalls sind so fließend wie geschmolzener Mozzarella.
Beim Bezahlen raubt mir einer der Angestellten etwas von meiner Illusion. Das Ladenlokal ist gerade mal 10 Jahre alt, anfangs sogar ohne Pizzabereich. Vorher war an dieser Stelle ein Feinkostgeschäft. Der Flohmarkt-Krusch verfing sich also nicht peux a peux über Jahrzehnte in den Gasträumen, sondern muss zielgerichtet dort verteilt worden sein.
So genau möchte ich das alles gar nicht wissen und greife zum Hörer des Wandtelefons. Die Wählscheibe knarzt erbost, meine Fingerkuppen schneiden sich am spröden Plastik auf. Dann tutet es. Am anderen Ende hebt die honigweiche Stimme von Romina Power ab. ›È abbassare la luce per fare pace. La felicità, felicit-hàà‹