Rom, es regnet. Die U-Bahnen streiken. Busse fahren auch nicht so wirklich. Nur mit einem Umweg von einer Dreiviertel Stunde schaffe ich es mit dem Zug von Tirbutina nach Termini. Eigentlich zwei Stationen direkt nebeneinander, aber Rom ist groß. Unsere Zivilisation ist schneller gewachsen, als Romulus und Remus beim Hochziehen der ersten Mauer das überblicken konnten. Richtig Öffi-tauglich ist die ewige Stadt nicht. Straßenbahnen fahren eher in der Peripherie. Da musst du schon mal mit einem Zug raus aus der City, um mit dem nächsten wieder rein zu fahren.
Tagsüber kämpfe ich weiterhin mit den Entfernungen der Stadt. Auf der Suche nach einem Küchenzubehörgeschäft zieht mich von der spanischen Treppe bis hinter den Vatikan und wieder zurück. Da gibt es nicht einmal Zugverbindungen hin. Immerhin hat es sich nicht so eingeregnet, wie dies in Deutschland gerne mal der Fall ist und die Sonne strahlt am Abend wieder vom blitzblanken Himmel hinab. Trotz mühsam erlaufener Shoppingkilometer hält sich mein Hunger in Grenzen und ich irre so lange unschlüssig umher, bis mich eine kleine Enoteca mit viel Wein und dankenswert kleinen Snackportionen anlacht.
Nicht, dass ich von Wände voller Wein etwas hätte, als Antialkoholiker, aber wie diese aberhundert Flaschen so in dem gut hundertjährigem Regal auf durstige Kehlen warten hat schon eine gewisse Gemütlichkeit inne.
Der Bistro-Tisch, den mir der Kellner etwas genervt zuweist, da ich zu lange im Stehen die abgefletterte Speisekartensammlung in Klarsichtfolie studiert hatte, passt perfekt zum Ambiente. Seine schwere Tischplatte aus massivem Stein ist klassisch mit Trauben und Weinblättern verziert, die sich ebenfalls in einigen Bodenfliesen, wie auch auf den Lampenschirmen an der Wand wieder finden. Man weiß, woran man hier ist, sage ich mir und ordere getrost eine kulinarische Kleinigkeit. Viel ist nicht los. Eine Touristenhochburg möchte der Laden auch gar nicht sein.
Mein Pfirsichsaft kommt aus einem kleinen Tetrapack für die Schulpause und der Kellner muss sich etwas gedulden, bis er den gesamten Inhalt aus der Pappe durch das Steckloch in mein Glas gepresst hat. Eine Schere hatte er wohl gerade nicht zur Hand. Dafür erklärt er mir sogar gar relativ geduldig, was eine Torta Rustica ist. Eine italienische Quiche. Leicht erwärmt wird sie mir mitsamt einem Teller Caponata-Zucchini-Tomaten-Mix gebracht. Ein Körbchen Brot gibt es ebenfalls dazu. Unsere kleine Konversation ermutigt mich dazu, dem Kellner tolle Englischkenntnisse zu attestieren, was der aber nur lachend verneint. Französisch und Spanisch, ja. Aber kein Englisch.
Ich glaube ihm kein Wort. Jede Wette, er ist gut rumgekommen. Auf Anfang 50 schätze ich ihn. Ein Schlacks mit Halbglatze und einem 10-Tage-Bart, dessen Haarspitzen rund um das Kinn schon wunderbar grau meliert sind. Er trägt ein Terracottafarbenes T-Shirt mit einem zweifarbigem Kreis in der Mitte. Dazu eine Jeans. Ich entscheide mich, dass der Kreis auf dem Shirt eine abstrahierte Sonne darstellen soll. Ohne Strahlen, aber mit der gleichen positiven Aura. Vielleicht liegt es aber auch an dem Träger. So einer wie er ist früher mit dem Van an den Küsten des Landes entlang gezogen. Mit irgendeinem schrottigen FIAT-Transporter, bei dem sich im Fußraum schon roter Rost mit gelben Sand gemischt hat. Der Sand wurde durch die Sandalen reingetragen, weil barfuß gehen jetzt auch nicht seines ist. Ein bisschen Ordnung muss das schon alles haben. Der Wein war auch nie billig. Auch nicht der Käse und die Salami. Mehr braucht man ja nicht. Da konnte man für die wenigen Dinge schon mal ein bisschen Geld springen lassen.
Und die Gitarre war auch immer dabei. Ein paar Akkorde und schon ist die Stimmung ausgelassen. Die anderem am Strand hielten sich gerne in seiner Nähe auf. Gute Laune verbindet. Das übrige Eis wird über ein paar Zaubertricks gebrochen. Überhaupt: Hauptsache es ist lustig. Ein Spaßvogel durch und durch.
So einer muss das sein, mit Sicherheit. Vielleicht war er auch gar nicht genervt von mir, sondern ist nur jemand, der es nicht versteht, wenn man zu zögerlich an eine Entscheidung heran geht. ›Komm rein, setzt dich. Hier ist alles gut. Was soll schon passieren? Hab Spaß, genieß das Leben!‹
Als das Engländer-Pärchen am Schaufenster, deren kleiner Teller mit Caponata mich überhaupt erst in die Enoteca gezogen hat, aufbrechen möchte, klettert ihr etwa 1-1/2-jähriges Kleinkind als ersten vom Stuhl. Völlig verzückt schaut es dem Kellner zu, der es sich nicht nehmen lässt, beim Vorbeigehen dem Baby ein kleine Tanzeinlage darzubieten. Zweimal. Passend zur Hintergrundmusik. Ta-ta-ta, Tamm-tamm-ta-daa! Das Kind gluckst und giggelt.
Von all dem ungerührt verweilt der Chef der Enoteca derweil stumm hinter seinem Tresen. Ein kleiner, stämmiger mit grauen Haaren. Die getrockneten Pomodori, die mir viel zu salzig waren und als einzige auf meinem Mixteller übrig geblieben sind, werden von ihm fein säuberlich mit der Pinzette zurück ins Einmachglas befördert.
Ich zahle erst, als er mit irgendetwas anderes beschäftigt ist und der Kellner alleine an der Kasse steht.
›You are a charming person,‹ strahle ich den Schlacks an.
Und ganz offensichtlich ist er aufrichtig darüber erfreut.