Als erstes beeindruckt die enorme Raumhöhe. Fünf Meter, vielleicht sogar sechs. Könnte man auch instant als Showroom für Kleinflugzeuge nutzen.
Hohe Fenster, unverputzte Betonwände, schwarz gestrichene Decke. Schwarz gestrichene Rohre an der Decke. Das Interieur aus Holz und Stahl. Industrial Style direkt neben dem Leipziger Grassi Museum, so ist das Franz Morish. Dazu selbst gebackener Kuchen, einige orientalische Snacks, das obligatorische pochierte Ei auf Avocadobrot und Säckeweise frisch gerösteter Kaffee. Die passende Anlage dazu steht mehr oder minder Mitten im Raum. Seitlich der Treppe, die hoch zur Galerie führt. Von dort hätten die Gäste eine tolle Sicht auf die Tragflächen, aber nein, so breit ist das Café dann doch nicht. Nur die Bohnen werden eingeflogen. Gut besucht wie eine Flughafenhalle ist der Laden aber allemal. Schöne Orte sprechen sich herum. Die Nähe zur Uni tut ihr übriges.
Mir gefallen diese Szenenlokale ebenfalls. Wer hier seinen Kaffee bestellt, hat sein Leben unter Kontrolle. Entlang der Fensterfront sind Tresen aufgestellt, an denen Menschen ihre Laptops aufklappen und mit Blick auf die Straße ihrer Home Office-Arbeit nachgehen. Oder wie ich kleine Kunst versuchen.
AfDler hassen diese Location. Wobei die ja eigentlich Produktivität zu schätzen wissen müssten. Immerhin sind in deren Augen ja mehrheitlich Nicht-Bio-Deutschen die faulen Schmarotzer, auf die es gilt einen genauen Blick zu werfen. Aber das ist ja ohnehin Unfug. Diese vorgeschobenen Anschuldigungen. Dieses echauffieren über Vorgänge außerhalb ihres Kontrollbereiches.
Nicht so hier im Franz Morish. Da ist schon der Name präzise durchdacht. Der Besitzer heißt ganz anders. Aber Gäste mögen Geschäfte mit Menschennamen. Das wirkt auf sie persönlicher. Und ›morish‹ kommt aus dem Englischen und bedeutet ›macht Lust auf mehr‹. Die korrekte Schreibweise scheint zwar ›moreish‹ zu lauten, aber so genau wird es dann doch nicht genommen.
Alle hier haben gut bezahlte Jobs. Alle hier fliegen regelmäßig in den Urlaub. Keiner muss morgens um 5 aufstehen und sich mit zugigen Baustellen oder sonstigen Handwerksunannehmlichkeiten herum schlagen. Da macht ein einzelnes ›e‹ aus einem Macchiato keinen Cappuchino. Hauptsache, keiner bestellt zwei ›Espressos‹!
Mir gegenüber sitzt eine piccobello gestylte Frau mit schulterlangen, zurück gekämmten Haaren, goldenem Schmuck und pastellgrünem Sweater. Geschätzt Anfang, Mitte Dreißig. Dazu MacBook, Smart-Watch, Privat-iPhone, Dienst-iPhone. Niemand, der zweimal überlegen muss, ob er sich für ein paar Emails einen Latte Macchiato, eine Limo und ein Stück Zupfkuchen ordern will.
Sie arbeitet in der Marketingabteilung einer amerikanischen Firma für Medizintechnik, welche Filter zur Blutreinigung herstellt, kommt ursprünglich aus Berlin und begleitet ihren Freund, der in der Uniklinik gerade einen kleinen Messestand betreut. Die Beschreibungsbilder auf Google gefielen ihr.
Noch so ein Ding, an das heutzutage gedacht werden muss: Wenn dein Lokal optisch nichts hermacht, nutzt dir eine ausgefuchste Speisekarte wenig!
Ich habe meine Mitgäste schon richtig eingeschätzt. Wir Menschen folgen der Fährte unserer Bubble.
Die blonde Frau und ich unterhalten uns über die Bequemlichkeit des Home Office-Lebens und wissen unsere Privilegiertheit zu schätzen. Ein wenig tue ich so, als hätten wir ein ähnliches Leben. Nach ein paar Schleifen um das gleiche Thema packt sie zusammen, da im Wagen ihr junges Hündchen wartet und gleitet mit ihrer Luis-Vitton-Tasche (ich gehe davon aus: echt!) aus dem Café. Was bleibt, ist die erstaunliche Erkenntnis, dass man mit jeder x-beliebigen Frage ein Gespräch eröffnen kann. ›Entschuldigung. Weißt du, ob es hier in Leipzig noch andere, so schöne Cafés wie dieses hier gibt?‹ Schließlich war das Franz Morish ja auch ein Tipp, den ich von jemanden anderes bekommen hatte. Selbst, nachdem mir dieser Name schon dutzende Mal auf Google Maps begegnet ist. Vielleicht hätte ich mir einfach mal die Beschreibungsbilder ansehen sollen. Andererseits muss man einfach mal hier her kommen, um die hohen Decken auf sich wirken zu lassen.